Actor reality construction: Eine Einführung in den Pragmatischen Konstruktivismus

Datum: 04.08.2014 (20:00:00–23:00:00)

Ort: "Licht & Musik", Merseburger Str. 3, 10823 Berlin (Hof, EG links)

Lennart Norreklit: Actor reality construction
Leben heißt: Wirklichkeit konstruieren

Die Actor reality construction (ARC) ist ein interdisziplinäres Forschernetz, dass sich mit der Perspektive des Menschen als Akteur der Wirklichkeitskonstruktion beschäftigt. Die Thesen des ARC sind:

1) Probleme als fehlerhafte Konzeptualisierung - Methodologischer Hintergrund

Die Probleme der modernen Welt sind wesentlich von den Paradigmen der Wissenschaftlichkeit hervorgerufen oder verstärkt worden. Das gilt z.B. für Probleme in Bezug auf das Weltklima, die Ökologie, die Überbevölkerung, die Wasserversorgung, die Immunität, Sozialpathologien, das Artensterben und vieles mehr.

Diese negativen Wirkungen sind zum Teil das Resultat einer Aktivität, die durch ihre begrifflich strukturierte Weltbezogenheit gezielt spezifische Probleme löst – und dabei beiläufig andere Probleme erzeugt.

Diese „nebenbei“ erzeugten Probleme sind meist nicht im wissenschaftlich begründeten Handeln mit konzipiert. Das hat zur Folge, dass die wissenschaftliche Weltbezogenheit illusorische Komponenten enthält, die solche Probleme verursachen.

Es ist die Aufgabe der Grundlagenforschung solche Probleme zu erkennen und durch verbesserte Konzeptualisierung zu überwinden. Gültigkeit (validity) ist ein Qualitätsmerkmal der Forschung, d.h. das Wirklichkeitsverständnis der begrifflich-theoretischen Konzeptionen muss soweit in Ordnung sein, dass solche Probleme sich nicht beiläufig entwickeln.

Da analytische Begriffsdifferenzierungen typischerweise innerhalb des existierenden Begriffssystems geschehen, sind sie oft nicht geeignet, Begriffe zu entwickeln, die solche Probleme effektiv lösen können. Dazu wird eine Methode zur Begriffsentwicklung benötigt, die das Wirklichkeitsverständnis ändert. Um das zu bewältigen, muss die Komplementarität der Begriffe überprüft und korrigiert werden. Diesen Vorgang nenne ich "Konzeptualisierung".

2) Der Mensch ist Akteur

Leben ist als Aktivität aufzufassen. Der Mensch wird damit als Akteur verstanden. Passive Interpretationen wie z.B. im Hedonismus oder bedürfnisbezogene Interpretationen menschlichen Verhaltens sind nur Teilaspekte, die durchaus wichtige Bedingungen angeben. Aber wenn der Mensch nicht Akteur in seinem eigenen Leben ist, so ist er im Leben in der Regel verloren. Der Mensch ist aufgefordert, seine Wirklichkeit als Akteur selbst mit hervorbringen. Dazu braucht er Begriffe, die „stimmen“.

3) Wirklichkeitskonstruktion

Die Wirklichkeit ist ein funktionierendes Mensch-Welt Relationsgefüge - im Gegensatz zu Illusionen die ein nicht oder schlecht funktionierendes Mensch-Welt Gefüge darstellen. Die Funktionalität dieses Gefüge ist pragmatisch zu verstehen und ist analysierbar als Integration von vier Perspektiven (Dimensionen) in ein einheitliches Mensch-Welt Gefüge:

1. eine empirische (faktische) Dimension,
2. eine logische bzw. modale Dimension von Möglichkeit/Unmöglichkeit,
3. die axiologische Dimension der Werte und
4. die kommunikative Dimension.

Das tragende Argument ist folgendes: Es geht um erfolgreiches Handeln. Erfolg heißt: Erwartungen werden erfüllt (pragmatische Bestimmung von Wirklichkeit). Die zureichenden Bedingungen eines Erfolges sind:

a) Das die Grundlage des Handelns etwas Tatsächliches ist - also wenig von illusorischen Vorstellungen geprägt (falsche Vorstellungen können verbessert werden, Illusionen nicht so leicht).
b) Die tatsächlichen Grundlagen müssen Möglichkeiten offenhalten, sonst sind sie nicht handlungsrelevant.
c) Subjektive Werte müssen innerhalb des Möglichkeitshorizontes angesiedelt sein, sonst entsteht keine Motivation und kein effizientes handeln.
d) Organisatorisches Handeln setzt reziproke Kommunikation mit dem Ziel einer Integration von Fakten, Möglichkeiten und Werten voraus - eine "co-authorschip of the organizational activities".

Methodische Konsequenz: Eine nur 1-, 2- oder 3-dimensionale Methodologie wird somit Probleme mit sich bringen. Empirische, rationale/logische, 'emotionale' und kommunikative Instrumente sind allesamt notwendig. Unter anderem ist die Entwicklung vielschichtig integrierter Begriffe notwendig.

4) Andeutung einiger Sub-Thesen:

a) Wirklichkeit hat ein 'fließendes Wesen', d.h. sie ist in ständiger Entwicklung.

b) Faktizität von Möglichkeit: Empirische Begriffe scheinen letztendlich Handlungsmöglichkeiten zu implizieren.

c) Construct causality: Praxis konstituiert sich in konstruierten Ursachen-Ketten, die durch angewandte Integration möglich werden.

d) Durch Integration von Werten (die durch unser positiv zugewandtes Weltverhältnis bestimmt werden) und faktischen Möglichkeiten entstehen Gründe, d.h. eine Verbindung von Kognition und Gefühl.

Lennart Norreklit

Lennart Nørreklit ist dänischer Philosoph, Professor Emeritus der Aalborg Universität, Doktor der Philosophie (Habilitation), Aalborg Universität, 1987, Magister der Philosophie, Aarhus Universität, 1971

Forschungsgebiet: Theoretische und angewandte Philosophie, hauptsächlich in gesellschaftswissenschaftlichen Gebieten mit Schwerpunkt auf den praxisbezogenen Disziplinen (Management, Sozialarbeit und mehr) zur Fundierung von problembasierten Studien- und Forschungspraktik. Beiträge zu ontologisch-epistemologischen Grundlagen, zur Logik und wissenschaftliche Methode so wie Beiträge über Werte, Liebe und ‚das gute Leben’.

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