Eine seltsame Frage: Gibt es eine "Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen"?

Datum: 20.02.2011 (20:00:00–23:00:00)

Ort: (Diese Veranstaltung fand in der privaten Wohnung eines MoMo-Mitglieds statt.)

Das deutsche Bundesverfassungsgericht nennt im Tenor seines kürzlich veröffentlichten, sog. "Gentechnik-Urteils" vom 24. November 2010 (1 BvF 2/05, 1. Senat) ausdrücklich die "Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen" als Kriterium für das verfassungsgemäße Verhalten des Gesetzgebers in Fragen der genetischen Manipulation von Lebewesen und Pflanzen. Diese zunächst recht unauffällig daher kommende Begründungsfigur, die wörtlich auf Art. 20a GG rekurriert und darüber hinaus tief im common sense verwurzelt zu sein scheint, ist jedoch nicht so selbstverständlich, wie man meinen könnte. Auch wenn "Verantwortung" hier nicht im engeren Sinne von "Haftung", also dem unmittelbaren Einstehen für einen Zustand, zu verstehen ist, kann doch Verantwortung auch im weitesten Sinne des Wortes immer nur gegenüber existierenden Personen bzw. Institutionen postuliert werden. Die Verantwortung gegenüber nicht existierenden Adressaten ist leer: Es gibt gegenüber den künftigen Generationen - zumindest in einem nicht metaphorischen Sinne des Ausdrucks - keine Verantwortung. Mit der gewählten Formulierung muss also etwas anderes gemeint sein, wenn der Ausdruck nicht zur Worthülse verkommen soll.

Die hier untersuchte Frage berührt das ethische Fundament unserer Gesellschaft. Es ist zunächst erstaunlich, dass die besagte Begründungsfigur ethisch noch bis in die jüngste Zeit vollkommen unbekannt war. Zunächst gilt es deshalb, die ideengeschichtliche Herkunft der besagten Formel aus zwei heterogenen Wurzeln zu rekonstruieren. Die daran anschließende Herausarbeitung einer nach zeitgenössischen ethischen Maßstäben tragfähigen Bedeutung unserer sog. "Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen" muss auch auf das Risiko hinweisen, unter dem Deckmantel großartig klingender Formulierungen in eine Huldigung verdächtiger, alter Ideologeme zurückzufallen.

In meinem Vortrag werde ich schließlich Möglichkeiten einer Umformulierung der historisch jungen Begründungsfigur "Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen" aufsuchen und mich bemühen, ihr einen widerspruchsfrei akzeptablen Sinn verleihen.

Das Skript des Vortrages können Sie hier herunterladen: Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen? (Weitere öffentliche Verbreitung nur mit schriftlicher Zustimmung des Autors.)

Wolfgang Sohst

Wolfgang Sohst
ist freischaffender Philosoph und Gründer des xenomoi Verlages, Berlin.

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