Christlicher Dschihadismus

Warum Luther und die Aufklärung unvereinbar sind

Luther wollte, dass alles jüdische Kulturgut rigoros vernichtet wird.
Luther wollte, dass alles jüdische Kulturgut rigoros vernichtet wird.

Die zur Zeit allerorten stattfindenden Feierlichkeiten zum Gedenken an Martin Luther haben für mich als historisch und an der Person des bekannten Reformators interessierten Menschen etwas Zwiespältiges, das schon weit in den Selbstbetrug hineinragt. Insbesondere ist es falsch, dass Luther in irgendeiner Form die zweihundert Jahre später stattfindende Aufklärung vorwegnahm oder vorbereitete. Im Gegenteil, als geschworener Feind aller säkularen Vernunft und Mäßigung war er der Propgandist einer noch schärferen psychosozialen Unterwerfung des Individuums unter extreme theologische Dogmen, als es die katholische Kirche jemals vermochte.

All die Fakten zur gesellschaftlichen, christlich-theologischen (sprich: ideologischen), wirtschaftlichen etc. Situation zur Zeit Luthers einschließlich seiner Biographie und die seiner Hauptmitstreiter und -gegner sind im Wesentlichen unstrittig: Luther kämpfte gegen den institutionellen Egoismus und die Korruption der in ganz West-, Süd- und Nordeuropa herrschenden Katholischen Kirche. Die schickte sich zur Zeit des Thesenanschlags darüber hinaus mit aller Macht gerade an, auch den gesamten amerikanischen Kontinent im Windschatten einer äußerst blutigen Unterwerfung und Plünderung der dortigen indigenen Bevölkerung durch staatliche sanktionierte Abenteurer (vor allem Spaniens und Portugals) bequem christlich zu missionieren. Soweit reichte der Horizont Luthers aber bei Weitem nicht. Ihn störte vor allem, dass der christliche Glaube katholischer Prägung nicht strikt genug, nicht rein genug, nicht absolut genug sei, und nur sekundär die Erpressung von Geld der Gläubigen, denen man eingeredet hatte, dass sie anders ihre angeblichen Sünden nicht loswürden. Was bei ihm zunächst wie ein Befreiungsschlag gegen die päpstliche Bevormundung aussah, entpuppte sich schon wenige Jahre nach dem so genannten Thesenanschlag 1517 als ein Kampfprogramm für noch mehr Glaubensstrenge und eiserne Gefolgschaftsforderung unter sein ganz persönliches Diktat.

Ein Luther wäre auch heute ein Staatsfeind, und das zu Recht

Wie alle politischen Extremisten griff auch Luther zu einem erprobten Mittel der Selbstermächtigung: Greife deinen Gegner bei seinen offensichtlichen Verfehlungen an, indem Du sie lautstark öffentlich kritisierst und damit im Bauch eines solchen Trojaners deine eigentliche politische Absicht in die Köpfe des Publikums schleust. Die Verfehlungen der Katholischen Kirche waren nicht schwer zu benennen. Der ideologische Trojaner, auf diese Weise verpackt, war die Forderung nach direkter und unbedingter Unterwerfung eines jeden einzelnen Gläubigen unter eine von Menschen erfundene, angeblich von Gott befohlene Gaubensdisziplin und letztlich soziale Kontrolle, wie sie Europa bis dahin nicht gekannt hatte.

Diesen Fundamentalismus verbreiteten Luther und seine Anhänger in einer bis dahin beispiellosen öffentlichen (d.h. gedruckten und tausendfach verkauften) Beschimpfungsorgie, anfangs nur gegen den katholischen Klerus, insbesondere den Papst gerichtet, bald aber auch gegen alle Abweichler aus den eigenen Reihen. Neben Luthers mörderischem Hass auf die Juden, von dem gleich noch die Rede sein wird, sollte besonders seine hochaggressive Intoleranz gegenüber selbst noch geringsten Abweichungen von seiner neuen Lehre allen heutigen Luther-Apologeten schwer zu denken geben. Nicht nur war er er ein Befürworter der Enthauptung Thomas Müntzers im Jahre 1525, dessen Rumpf und abgetrennter Kopf danach vor den Toren der Stadt Mühlhausen aufgespießt zur Schau gestellt wurden. Auch die Vierteilung Zwinglis, dessen Körperteile danach verbrannt und in alle Winde verstreut wurden, erschien ihm vollkommen angemessen. Und selbst seine engsten Weggefährten - Karlstadt, Melanchthon und Agricola - waren vor Luthers ständigem Misstrauen und zeitweiligen Gehässigkeiten nicht sicher. Vor diesem Mann musste sich jeder in Acht nehmen - genau wie vor jenen modernen Tyrannen, die wir heute so verabscheuen. Woher also die Bewunderung dieses Menschen?

Ein Brandbeschleuniger des Judenhasses

Ganz hochnotpeinlich wird eine solche Bewunderung allerdings, wenn man die Agitation Luthers gegen die Juden betrachtet. Zu seiner Zeit herrschte allgemein eine gewisse Toleranz gegenüber den Juden, auch wenn man ihnen fast überall die freie Gewerbeausübung verbot und ihnen keinen oder nur sehr beschränkten Zugang zu öffentlichen Ämtern gewährte. Zumindest aber ließ man ihre Synagogen in Ruhe und presste sie nicht mit Gewalt zur Konversion wie in Spanien nach 1492.

Das passte dem Herrn Luther überhaupt nicht. Sein Hass auf die Juden übertraf bei weitem jenen gegen den Islam, der ihm als relativ ferne Kultpraxis kaum als Konkurrent zu seiner Glaubenslehre erschien. Zwar wird Luthers Schrift von 1523 mit dem Titel "Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei" heute eher als Ausweis einer toleranten Einstellung gegenüber dem Judentum interpretiert. Wie Lyndal Roper in ihrer sehr gut recherchierten Luther-Biographie ("Luther - Der Mensch Martin Luther", S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016, S. 496ff.) nachweist, ist eine solche Interpretation wohl eher als Beschönigung einer Haltung zu verstehen, die ihren wahren Charakter ganz unverüllt in den späten Jahren Luthers zeigte. Ständiger, ganz beiläufiger und selbstverständlicher Antisemitismus in den berühmten Tischgesprächen Luthers zeitigten bald ihre Früchte, als immer mehr Stimmen laut wurden, die sich über "zu viele Juden" in ihren Dörfern und Städten aufregten. In seiner Schrift von 1543 schließlich, von äußeren Anlässen provoziert, veröffentlicht Luther eine Schmährede mit dem Titel "Von den Juden und ihren Lügen", die nicht nur von übelsten Schmähungen wimmelte (durchsetzt, wie bei Luthers Schmähschriften üblich, mit Fäkalvergleichen), sondern auch klar die "Rasse" der Juden als nicht lebenswert brandmarkte. So rief Luther die weltlichen Herrscher auf, wobei er auf einige nicht geringen Einfluss hatte, alles jüdische Kulturgut niederzubrennen und zu vernichten und die Juden selbst in die Zwangsarbeit zu schicken. Natürlich durfte dabei auch nicht die Empfehlung zur Bücherverbrennung fehlen, die erst einige Jahrhunderte später von den Nazis bereitwillig umgesetzt wurde.

Sie bewundern Martin Luther? Bitte begründen.

Auch über die Bauern, die sich an den Bauernaufständen im Süden beteiligten, redete er nur wie über Ungeziefer, das einfach vernichtet gehört. Wer sich also heute zum Apologeten Luthers macht, muss sich ernsthaft fragen lassen, ob er nicht mit zweierlei Maß misst, wenn er afghanische Taliban und überhaupt alle Arten islamischer Dschihadisten - sehr zu Recht - ganz schrecklich findet, den Herrn Luther aber bewundert. Zu einer solchen Bewunderung besteht nicht der geringste Anlass. Dies schon deshalb nicht, wenn man sich klarmacht, dass eines der wichtigsten (!) Anliegen Luthers das Beharren darauf war, dass die Kommunion (also das rituelle Trinken von Rotwein und das Essen einer Oblate im Rahmen des Abendmahls) unmittelbar der Genuss des Blutes und des Leibes Christi seien. Jeden, der dieser ziemlich abstrusen Behauptung widersprach, verfolgte Luther mit unnachgiebigem Hass, teilweise noch fanatischer als seine eigentlichen katholischen Gegner.

Was folgt daraus? Ganz einfach: Hört auf, Luther zu bewundern. Luther war ein aggressiver Fundamentalist, der mit modernem Toleranzdenken nicht das Geringste zu tun haben wollte. Es ist bedenklich, dass solche Charaktere heute noch solche Aufmerksamkeit genießen. Auch Calvin gehört in diese Riege, der bekanntlich ein fanatischer Hexenverbrenner war und sogar noch jenen zivilen Genfer Mitbürgern mit Verbrennung drohte, die gegen seine Unmenschlichkeit Bedenken erhoben.

Die wesentlich Frage ist wohl eher: Weshalb werden Luther und seine fundamentalistischen Konsorten eigentlich heute noch so bewundert? Schwelt der Geist der Kreuzzüge womöglich immer noch in unserem kollektiven Unterbewussten? (ws)

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