Nachdenken. Lesen. Schreiben.

Von der Lust an der Philosophie

Der Gedanke und die Wirklichkeit. Eine seltsame Beziehung

Das allgemeine, gesellschaftliche Interesse an Philosophie ist zweifelsohne groß. Die Zeitschriften und sogar die Geschäftsberichte großer Unternehmen sind voll davon. Es ist aber nicht die akademische Disziplin dieses Namens, die das Publikum anzieht, sondern etwas anderes, vielleicht Geheimnisvolleres, das mit dem Wort Philosophie einhergeht. Da klingt Lebensweisheit an statt nur das schnöde know-how aus der beruflichen Sphäre; auch Lebensberatung, aber ganzheitlich, sanft und auch witzig, abseits der ewigen Verkaufstrainings und Strategiesitzungen; und schließlich Welterklärung im großen Maßstab, also der umfassende Zusammenhang, die Metaphysik.

In solchen starken, sehr freien Gefühlen schwingt viel nur Geahntes, verborgene Faszination, gar die weltbewegende Idee gleich hinter der nächsten Gedankenecke mit. Die akademische Philosophie tut sich mit solchen Wallungen schwer, und dafür wird sie vom Publikum mit Desinteresse abgestraft – zumindest in Deutschland, wo Universitätsphilosophie ungefähr so saftig wirkt wie ein Brötchen vom Vormieter auf dem Dachboden. Wir tun ihr damit häufig Unrecht. In Frankreich haben les philosophes bekanntlich einen populäreren Stand, mischen überall mit, und es darf auch ruhig deftig sein. Herr Sloterdijk hat das ja im deutschen Fernsehen auch eine Weile lang geübt, ich würde sagen: mit mäßigem Erfolg. Die Deutschen wollen es offenbar unterhaltsam. Wenn es dann aber richtig unterhaltsam wird, dann ist es ihnen plötzlich keine Philosophie mehr. Schwierige Sache. Philosophische Gründlichkeit à la Kant und Hegel schätzen die Deutschen schon, ungefähr so wie ihren Vorsprung durch Technik und den Guten Stern auf allen Straßen. Das Dumme ist nur, dass sie es gerne etwas unterhaltsamer hätten. Nun, das ist möglich, wenn auch nicht gerade vor dem Fernseher.

Nennen wir es lieber die Lust am Philosophieren. Diese Lust kann durchaus auch mühevoll sein. Die versprochene Entdeckung kann ich folglich nur denen empfehlen, die wirklich, d.h. beharrlich in diesem Sinne neugierig auf das sind, was Philosophie für sie ganz persönlich sein kann. Die anderen dürfen natürlich auch gerne weiterlesen, allerdings wird’s jetzt ernst (ohne Lust-Verlust, keine Sorge). Den im folgenden beschriebenen Weg empfehle ich eher als eine Einstellung, durch die man das große Land der Philosophie staunend entdecken kann:

1. Zunächst: Philosophie ist für jeden etwas anderes. Die eine mag’s eher praktisch, nüchtern und alltagstauglich, der andere träumt davon, dass ihm endlich seine tiefsten Gefühle klar werden. Wieder wer anders hätte gerne gewusst, ob das logische Substrat einer Aussage eher grammatisch oder semantisch zu verstehen ist. Alles das kann Philosophie sein.

2. Die auch sozial erfolgreichen Philosophen erkennt man daran, dass ihnen das Entwickeln von Gedanken Spaß macht. Philosophie ist Entdecker- und Tüftlerfreude am freien Entwickeln und Austauschen jener Gedanken, die einem wertvoll erscheinen. Sie ist aber auch ziemlich cool: ideologische Trommelei und überhaupt jede Art von Verbissenheit stehen nicht auf der Tagesordnung.

3. Der Spaß an der Philosophie wird durch Lektüre gesteigert. Denn wer glaubt, mit jedem Gedankenblitz schon ein Aristoteles-Kant-Derrida auf Erden zu sein, soll ruhig erst einmal weitermachen. Sie oder er wird schon wieder herunterkommen. Und das ist auch gut so, denn ‚herunterkommen’ heißt buchstäblich, intellektuelles Gewicht zuzulegen. Der eigene Gedanke gewinnt erst wirklich an Kraft, wenn man ausgelotet hat, wie viele Menschen schon vorher darüber nachgedacht haben. Fast immer sind das sehr viele. Das gilt es anzuerkennen.

4. Bewundere niemanden, schon gar keine Philosophen. Ein guter Gedanke verdient Respekt und Auseinandersetzung, mehr nicht. Gelehrte Besserwisserei lässt sich übrigens ziemlich selten an den Mann bringen. Der Aufwand lohnt also nicht. Aber halt: Sagte ich nicht eben, dass schon viele Leute sehr viel (und häufig auch sehr gut) schon über jedes philosophisches Problem geschrieben haben? Richtig. Diese Leute sollte man am besten lesend, wie eine(n) lange gesuchte(n) Freund(in) endlich finden. Und man sollte sich trauen zu widersprechen. Philosophieren heißt: Gehirn bitte mit in die Vorstellung nehmen, nicht an der Garderobe abgeben.

5. Nicht nur hereinfressen, sondern auch wieder ausspucken: Wer viel liest, viel nachdenkt, der sollte auch wieder hergeben, was er aufgenommen hat. Erst dann wird aus dem Gelesenen, dem Gedachten, dem Aufgeschnappten und dem nur Geahnten ein wirklich guter Gedanke. Das tut man am besten, indem man schreibt. Schreiben ist das gelée royale zur Lebensweisheit. Es sorgt für die notwendige Balance zwischen dem Aufgenommenen und dem selbst Entwickelten, zwischen dem Wert der anderen und dem eigenen Wert, zwischen dem nur Gespürten und dem wirklich Vertretbaren. Wer schreibt, erkennt sich selbst. Aber bitte nicht wie bei Facebook gleich alles posten, was einem gerade aus dem Hirn purzelt. Erst noch einmal lesen, dann drüber schlafen, noch einmal lesen, korrigieren, noch einmal drüber schlafen, und immer wieder verbessern. Dann wird’s gut, wirklich erst dann.

6. Für die Faulen: Fernsehen sofort ausschalten, Buch und Schreibblock auf den Tisch, und zwar jetzt, heute Abend. Keine Ausrede. – Für die Schüchternen: Einfach loslegen, Blödsinn schreiben und drüber lachen. Viele große Philosophen haben noch viel größeren Blödsinn geschrieben. Kaum zu glauben. Und ist auch in Ordnung so.

7. Philosophie ist das Denklabor im eigenen Kopf. Vielleicht trittst Du ja eines Tages aus der Tür deines Hirnkastens ans helle Tageslicht, die Leute schauen dich an, was Du da fabriziert hast, und siehe da: Es kreißte das Mäuschen und gebar einen Berg! So etwas ist schon öfters vorgekommen.

Das also sind die ersten sieben Tipps, die mir einfallen, wenn es darum geht, Menschen zum eigenen Denken zu animieren. Eine schwierige, manchmal geradezu mühsame Sache, das gebe ich zu. Aber es winkt reicher Lohn, zum Beispiel in Gestalt dieses gewissen Witzes in den Augen, den man sich erwirbt, wenn man erst einmal ein paar Dutzend schwere Bücher gelesen und ein paar Schreibblocks oder Tagebücher vollgeschrieben hat. Dann kennt man sich schon besser aus, mit sich selbst und der Welt.

Selber denken. MoMo.

(ws / Kommentare sind jederzeit willkommen)

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