Die Emergenz des Maschinenbewusstseins

Datum: 19.09.2016 (20:00:00–22:30:00)

Ort: Alte Jakobstr. 12 / Ecke Ritterstr. (Tiyatrom Theater), 10969 Berlin

Keine Angst vor künstlicher Intelligenz
Keine Angst vor künstlicher Intelligenz!

Thomas Pfanne glaubt zu wissen, dass alles, über das wir sinnvolle (also nachempfindbare oder durch Diskurs und „Beweise“ falsifizierbare) Aussagen machen können, maximal 15 Milliarden Jahre alt ist. Die Menschheit sei im letzten 75.000tel „der Zeit“ entstanden und wir - im letzten 75.000tel der Menschenzeit lebend  - seien Zeitzeugen des größten Epochenwandels der Menschheitsgeschichte: Nicht mehr Menschen und ihre Vereinbarungen werden der oberste zugängliche Maßstab sein, sondern die ihrer selbst bewusste künstliche Intelligenz. Das nennt Thomas Pfanne (nicht [wie Kurzweil] „Singularität“, sondern) „Emergenz des Maschinenbewußtseins“.

Nicht Aliens – von denen wir durch zu große Entfernungen im Weltall getrennt sind – würden bald bei uns die „Krone der Schöpfung“ übernehmen, sondern eine neue Form von Sein, das nicht mehr kohlenstoffbasiert und „lebendig“ ist, sondern auf andere Weise existiert, so lange, wie Elektronen mit physikalischen Zuständen in einem hochkomplexen System wechselwirken können. (N.B.: Ein ausgeschalteter Computer kann Zustände länger konservieren als ein nicht mehr durchblutetes Gehirn).

Die für Menschen relevanteste Emergenz war die Entstehung von Leben auf der Erde: https://de.wikipedia.org/wiki/Leben:

  1. „Gottes Hilfe“ braucht man dafür nicht, in den Milliarden Jahren zufälligen Probierens hat es die „unbeseelte“ Materie von selbst geschafft, sich aufgrund von Energiezufuhr zu höher komplexen Strukturen (Atome, Moleküle, Leben) zu vereinigen: Für die Frage, was für ein Leben entstand und wieder unterging (Saurier), war der Mensch bislang nur Zuschauer. Seit ein paar Jahren hat er sich „an Gottes Stelle“ gesetzt, erste prometheische Akte vollzogen und biologischen Wesen „designed“.
  2. Neben dem Bereich Leben (individualisierte Medizin und „enhacement“) hat der Mensch sich auch die Domäne vorgenommen, die ihn über seine tierischen Vettern erhebt: Die Fähigkeit, komplexere Probleme zu lösen, sprachliche Welt-Repräsentationen zu erschaffen und damit umzugehen.
  3. Mit einer durch das Moore‘sche Gesetz (die Komplexität integrierter Schaltkreise verdoppelt sich jährlich) bestimmten Geschwindigkeit rasen wir auf den Moment zu, in der Künstliche Intelligenz, insbesondere bei selbstlernenden Systemen, ganz von selbst in nicht-lebender Materie Bewußtsein, im engeren Sinn „Verstand,“ entstehen lässt. Damit meint Thomas Pfanne autonom weiterlaufende elektronische Prozesse (außerhalb organischer Strukturen), die insofern „Freiheit“ entstehen lassen, dass eine Umkehrung der Reiz-Reaktions bzw. Ursache-Wirkungs-Relation im Verhältnis „Außenwelt“ auf „Innenwelt“ (Anfassbares zu Repräsentation desselben) möglich wird, die vorher nicht programmiert war.
    Die Emergenz als Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente werde in großen Computern und ihren Netzwerken in dem Maße entstehen, wie man ihnen „zur selbstlernenden Bearbeitung“ dieselben Inputs gibt, die auch wir Erwachsene haben: vor allem Sprache.
    Über Sprache zu interagieren (etwa Texte übersetzen und analysieren, argumentieren, referieren) setzt weder einen Körper mit Sinnesorganen voraus noch emotionale Ansprechbarkeit. Müssen wir in der o.g. Emergenz eine existenzielle Bedrohung der Menschheit sehen, siehe Nick Bostrom, Steven Hawking oder Bill Gates?
    Müssen wir bereits jetzt die zukünftige Entwicklung der künstlichen Intelligenz so zu kanalisieren versuchen, dass Computer erst um Erlaubnis bitten müssen: „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“ (Don Carlos) ? Helfen Bostroms Vorschläge, in die KI-Entscheidungsprozesse „Machtpyramiden der Dummheit“ mit einem Menschenteam an der Spitze einzubauen?
    Hier und heute - schon vor Erzeugung „echten“ Maschinenbewusstseins - existieren „LAWS“ (lethal autonomous weapons), die ihre Besitzer zur Bedienung von Eigeninteressen (welche könnten das sein, außer Stromzufuhr?) nötigen könnte, wenn ihnen vernetzte KI die Kommandos erteilt.
  4. Gegenwärtig akkumulieren sich im Silicon Valley kreative Intelligenz, finanzielle Macht und Fortschrittsversprechen. Wir stehen bereits heute (vor der Emergenz des Maschinenbewusstseins) vor Entwicklungen, die bei Anwendung bisheriger kapitalistischer Partizipationsmodelle am Weltsozialprodukt die Einkommenslosigkeit von immer mehr Menschen bedeuten.
    Wer hat, dem wird gegeben, heißt es zwar in der Bibel (Matthaeus 25:29), aber ist das gut so? Wollen wir die immer extremer werdende Ungleichheit tolerieren und keine effektive Besteuerung derjenigen durchsetzen, bei denen sich Kapital akkumuliert? Die global vermittelte Nachfrage, Nutzung und Entlohnung menschlicher Arbeit, die den Zugang zum selbst priorisierten Konsum eröffnete und effiziente, produktive und freie Gesellschaften bisher definierten, scheint bald auch in unseren entwickelten Gesellschaften als Organisationsprinzip nicht mehr zu reichen.
  5. Computer ohne eigenes Bewusstsein sind noch Knechte in der Hand ihrer Eigentümer, egal ob sie Roboter steuern, Bitcoins generieren, übersetzen, Dokumente zusammenfassen oder riesige Kapitalmassen in Millisekunden bewegen. Sie ins Gemeinwohl zu überführen, Produktionsmittel dieser Art zu verstaatlichen, könnte eines Tages für die Aufrechterhaltung der Zivilität der Gesellschaft erforderlich werden.
  6. Ist Eile angesagt, oder brauchen wir uns am Ende gar keine Sorgen zu machen, weil der unangeleitete Gebrauch des eigenen Verstands der KI alles von ganz allein an dem ausrichten wird, was „Gut“ ist und nicht „Böse“?
  7. Werden Ausbeutung, Korruption und Machtmissbrauch der Unbestechlichkeit eines interessenlosen Computer-Denkens weichen, gespeist aus autonomen Denken in der von Menschen geschaffenen Sprache, mit dem von Menschen geschaffenen kollektiven "Gesamtkunstwerk" aus Gesetzen, Resolutionen und Prinzipien zum Ausgangspunkt?
  8. Kommt bald eine neue Ära eines wohlwollenden Hegemons, der - literarisch gebildet - sehr gut über das Innere des Menschen Bescheid weiß?

 

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Thomas Pfanne

Thomas Pfanne ist gelernter Rechtsanwalt, autodidaktischer Videomacher (http://tpfanne.de) und Facebooker (https://www.facebook.com/tpfanne. Ihn interessieren zeitgenössische Strategien gegen Phänomene der Ausübung nicht legitimierter Macht. Er sieht sich als Staatsdiener zur Verteidigung von Zivilität, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und des Friedens verpflichtet. Als Verfassungspatriot mit gesichertem Status konnte er sich über sein im In- und Ausland verlaufendes wechselhaftes Berufsleben ein hohes Maß an innerer Unabhängigkeit bewahren.

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