Emergenz: Die Entstehung des Neuen (Wolfgang Sohst)

Datum: 28.08.2023 (20:00:00–22:00:00)

Ort: Online via Zoom

 

Das Wort 'emergenz' steigt aus einem See der Unbestimmtheit auf

Das wirklich Neue erklärt sich nicht aus der Sicht des Alten

Der Begriff der Emergenz ist genauso faszinierend wie rätselhaft. Schon vor ca. 150 Jahren wurde er zur Beschreibung von Phänomenen geprägt, die mit den bis dahin herkömmlichen wissenschaftlichen Mitteln nicht zu erklären waren. Das Hauptproblem schien zu sein, dass sich emergente Phänomene, sobald sie über den sehr engen Horizont einer spontanen Entstehung mathematischer oder chemischer Ordnung hinausgingen, nicht experimentell reproduzieren ließen. Von Anfang an lief die starke Intuition, die dem Begriff zugrundeliegt, daher einigen traditionellen Grundannahmen über die physische Struktur der Welt entgegen. Die dadurch entstandene Unsicherheit, wie sich die Entstehung fundamentaler struktureller Neuheiten nicht nur auf der Erde, sondern auch auf kosmologischer Ebene verstehen lässt, hält bis heute an.

Um hier voranzukommen, ist es notwendig, die impliziten Voraussetzungen des traditionellen Emergenzbegriffs kritisch zu reflektieren. Hier fällt beispielsweise auf, dass die klassische Emergenztheorie immer von Einzelphänomenen ausgeht, also der Entstehung ganz bestimmter neuer Eigenschaften konkreter Systeme oder Gegenstände. Ein solcher Ansatz kann jedoch nicht sehen, dass emergent Neues sich nicht als Einzelphänomen etablieren kann, sondern nur als 'Systemsprung' das erforderliche neue Stabilitätsniveau erreichen kann. Ein weiteres und noch grundlegenderes Paradigma der klassischen Naturwissenschaften, insbesondere der theoretischen Physik, geht davon aus, dass der gesamte Kosmos von Anfang an sich nach einem kompletten und unveränderlichen Regelsatz verhält. Dieser Regelsatz erlaube es angeblich, alle beobachtbaren Phänomene auf einige universale Grundfunktionen des physischen Universums zurückzuführen. Diese Prämisse der traditionellen Physik, genannt 'physikalischer Reduktionismus', wurde bereits erschüttert, als sich mit der Entdeckung der Quantenmechanik die bis heute ungelöste Frage auftat, wie aus der so genannten quantenmechanischen 'Kohärenz' aller subatomaren Systemelemente die makrophysikalische Welt hervorgehen konnte, in der wir leben. Dies dürfte das vielleicht frappiendste emergente Phänomen der gesamten kosmischen Entwicklung sein.

Wolfgang Sohst wird in seinem Vortrag versuchen, basierend auf Forschungsergebnissen der letzten Jahre, theoretische Mittel und Werkzeuge aufzuzeigen, die helfen sollen, dem Begriff der Emergenz aus seiner nach wie vor schillernden Rätselhaftigkeit herauszuhelfen. Er wird einige Sackgassen und Fehlkonzeptionen im klassischen Begriff der Emergenz aufzeigen und darstellen, wie sie sich durch inzwischen verfügbare bessere Modellelemente ersetzen lassen.

Das Vortragsskript und eine Dokumentation mit Illustrationen auf Deutsch und Englisch können hier heruntergeladen werden: Deutsches Skript, English Script, Illustrationen auf Deutsch, English Illustrations.

Zum Vortragenden:

Portrait Wolfgang Sohst

Wolfgang Sohst (*1956) studierte ursprünglichen Rechtswissenschaften in Berlin, wandte sich aber bereits seit Mitte der 1990er Jahre der Philosophie zu. Ein Schwerpunkt seines Interesses ist die rationale Metaphysik oder Ontologie, d.h. der Versuch, allgemeine Weltmodelle in enger Anlehnung, aber auch kritischer Auseinandersetzung mit dem heutigen Stand der Naturwissenschaften zu entwickeln.

Seine wichtigsten Veröffentlichungen in diesem Zusammenhang sind:

  • Prozessontologie. Ein systematischer Entwurf der Enstehung von Existenz. (Berlin 2009)
  • Reale Möglichkeit. Eine allgemeine Theorie des Werdens (Berlin 2016).

Die Aufzeichnung des Vortrages können Sie hier sehen:

 

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